Sternenritual - Per ignem ad astra am 03.08.2023

Das Wort des Gesetzes ist Θέλημα (Thelema)

Θέλημα ist ein griechisches Wort. Du findest es im Liber L vel Legis im Kapitel von Nuit: Das Wort des Gesetzes ist Θέλημα. Nur an einer Stelle. Im Griechischen natürlich schon, im Deutschen kennen wahrscheinlich nur wenige Menschen dieses Wort.

Aber wenn es das „Wort des Gesetzes“ ist, könnte sich das ja ändern. Moment mal: was denn für ein Gesetz?

Heiliger Wille zum Ganzen

Vor kurzem fragte mich ein Bekannter aus dem Nachbarort, was wir außer Yoga, das wusste er schon, noch machen. Und dann wollte er auch wissen, ob wir auch so etwas wie einen Namen hätten.

Ja, Yoga im Sinne von Dehnung, Bioenergetik, Faszien auch, alles was funktioniert und fit hält und hilft beim Meditieren. Das passt schon. Und was noch? Wie sage ich das einem freundlichen Menschen, der noch nie etwas von Θέλημα gehört hat? Philosophie fiel mir ein. Philosophie im Sinne von: „Erkenne dich selbst!“ Ja stimmt, wir philosophieren, wir denken in einem weiten Zeithorizont – von der Menschwerdung her bis über den Tod hinaus.

Okay, und wie nennt ihr euch, fragte der Bekannte nach.

„Θέλημα“ (Thélima), sagte ich, er kannte das Wort nicht. Das ist ein altes griechisches Wort noch von Aristoteles her. Es bedeutete damals so viel wie Heiliger Wille zum Ganzen aus ganzem Herzen, mit Leib und Seele. Auch heute, in der neugriechischen Sprache, kennt man das Wort Θέλημα noch. Als Auftrag lässt es sich übersetzen.

Ein Aber fiel mir gleich selber ein. So ein Zeithorizont erspart einem nicht die Probleme, die Menschen halt haben – Geld verdienen, Familie, Liebe, Gesundheit, Alter. „Ja, aber ihr könnt damit anders umgehen“, so mein Bekannter.

Das schon, aber das hat seinen Preis. Wenn solch ein Zeithorizont immer mitläuft, kann ich leichter sehen, welche Konsequenzen das hat, was ich gerade tue. Nur kann ich das dann auch nicht so leicht verdrängen.

Sonnebrille
Perspektive wechseln.

Θέλημα als Auftrag – was für ein Auftrag?

Später, als der Bekannte längst weiter gegangen war, fiel mir etwas ein. „Auftrag“ – oha, da hatte ich mich mal wieder selbst überrascht.

Im Zweifelsfall, als gelernte Philosophin, schaue ich gern genauer in ein Wort hinein. Nicht in künstliche Worte, sondern in natürlich entstanden Worte. Das sind Worte, die sich niemand ausgedacht hat, sondern die ein Gemeinschaftswerk von Millionen miteinander sprechenden Menschen sind.

Θέλημα als Wille war mir vertraut. Θέλημα (Thelema) als heiliger, auch heilender Wille. Und heilig meint ein aus der Tiefe des Herzens kommender Wille zur Liebe, Liebe zum Leben, zum ganzen Leben. Aber was für ein Auftrag? Die Menschheit retten? Die Menschen zur Liebe oder zur Selbsterkenntnis bekehren?

Na ja, mit dem Retten ist das so eine Sache. Wer wüsste nicht, dass man bei sich selbst anfangen muss, statt große Parolen zu schwingen? Und Bekehren schon mal gar nicht, wer ließe sich gern bekehren. Aber was für einen Auftrag könnte es sich dann handeln?

Leben im Lichte einer Vorstellung von sich selbst

Ich begann also zu suchen und wurde bei einem Philosophen fündig, der sich selbst als Neo-Existentialisten bezeichnet: Markus Gabriel. Die Formulierung: „Leben im Lichte einer Vorstellung von sich selbst“ stammt von ihm.

Er beschreibt mit dieser Licht-Formulierung das Besondere, die geistige Dimension des Menschen. Und soweit ich ihn verstanden habe, meint er damit ganz ausdrücklich nicht etwa ein hehres Ideal. Er meint stattdessen eine Tatsache, etwas also, aus der Menschen nicht aussteigen können. Menschen können nicht anders als sich fragen, wer sie sind, wer sie sein wollen und überhaupt wozu das Ganze? Wozu zum Teufel können wir Menschen über Gott und die Welt nachdenken? Brauchen zum biologischen Überleben tun wir das nicht, ganz im Gegenteil.

Die Pointe bei Markus Gabriel ist folgende: Was für eine Vorstellung ein Mensch von sich und der Welt (Gott und Unsterblichkeit ausdrücklich einschlossen), beeinflusst nicht nur ein wenig, sondern entscheidend, was für eine Art Leben er führt.

Und Θέλημα? Vielleicht könnte sich „Auftrag“ ja auf die Vorstellung von Menschen von sich selbst beziehen? Was heißt es für mich, ein Mensch zu sein? Was zu tun liegt, als Mensch, in meiner Macht und was nicht? Das ist keine bloße Wissensfrage, sondern eine existentielle. Im Kern geht es Menschen mit solchen Fragen um Leben und Tod, um Lebendigkeit und Sterblichkeit.

Was übrigens, um noch einmal die Verbindung aufzurufen, auch Markus Gabriel thematisiert. Es macht einen Unterschied, ob ein Mensch sich für eine Seele hält, die in einem Körper steckt, den sie bald wieder verlassen wird oder ob er sich für ein bedeutungsloses Staubkörnchen in den Weiten des Alls hält.

Θέλημα – Der Tod, o Mensch, ist dir verboten!

Der Tod, o Mensch, ist dir verboten. Θέλημα wäre in diesem Kontext das Wort für eine Vorstellung vom Menschen, in welcher Menschen ein Wörtchen in dieser existentiellen Frage mitreden können. Nicht willkürlich mit dem Finger schnipsend oder gar allmächtig, aber mitreden schon.

Der Tod ist dir verboten, aber möglich ist er, sonst müsste man ihn nicht verbieten. Du bist weder sowieso unsterbliche Seele noch bedeutungsloses Staubkörnchen, sondern es hängt davon ab, was du willst. Was du aus tiefstem Herzen willst. Θέλημα.

Mitdenken also ist angesagt, Perspektiven auf eine Sache wechseln, immer wieder, bis es dir leicht fällt. Ohne selber denken lässt sich schlecht herausfinden, was man will. Mitdenken zum Beispiel, wie du dir ein Leben unabhängig von deinem biologischen Körper, in dem du gerade steckst, vorstellen könntest. Dabei merkst du früher oder später, ob du das willst. Leicht ist es nämlich nicht.

Viel zu tief sind unsere Vorstellungen von uns selbst und der Welt noch von linear wirkenden Kräften (wie Raum und Zeit) geprägt, denen wir ausgeliefert wären. Doch du bist, da Mensch, alles andere als allein mit solchen existentiellen Fragen.

Die Weisheit, unterscheiden zu können zwischen Dingen, die ich ändern kann und solchen, die ich nicht ändern kann, ist ein Motto für so manchen Menschen heutzutage, auch für viele Wissenschaftler.

Vorstellungen prüfen – Methode der Wissenschaft

Im Wald vor lauter Bäumen: Vortrag Prof. Dirk Brockmann

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Lebendige Systeme sind, so eine Einsicht moderner Wissenschaft verschiedener Fachrichtungen, komplexe, ständig sich verändernde, nicht vorhersagbare autopoietische Systeme.

Viele „Wahrheiten“ vergangener Zeiten über den Ursprung des Lebens oder der Welt erweisen sich im Lichte der modernen Forschung als, vorsichtig formuliert, erweiterungsbedürftig. Selbst Paralleluniversen sind inzwischen nicht mehr nur Thema von Science Fiction. Auch in der modernen Physik gibt es diverse Hypothesen, welchen Erklärungswert die Existenz von unzähligen Paralleluniversen haben könnte.

Für (uns) Menschen, die wir in einer auf Berechenbarkeit abgestimmten Gesellschaft leben, ist es schwer, sich anschauliche Vorstellungen von der Relativitätstheorie und Quantenmechanik, geschweige denn von den daraus abgeleiteten Hypothesen zu möglichen Paralleluniversen oder den Einsichten der Komplexitätsforschung zu machen.

Möglich aber, wenn man denn will, ist es durchaus. Und heute ist es viel leichter geworden als noch vor 20 Jahren, zumal es so manchen Quantenphysiker gibt, Anton Zeilinger zum Beispiel, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Quantenphysik auch für interessierte Laien wie mich möglichst anschaulich zu erklären. Was auch hilft: Gesprächspartner zu solchen Themen zu haben, um wieder herauszufinden aus Sackgassen, in die man sich alleine leicht verrennen kann. Esoterisches Wunschdenken könnte so eine Sackgasse sein oder irrige Glaube, recht haben zu müssen, Machtspiele zu spielen.

Und für welches Gesetz ist Θέλημα das Wort? Ich hätte als Antwortversuch das Gesetz des Lebens anzubieten. Doch es gibt andere Antworten, Thelemiten beschäftigt diese Frage naturgemäß sehr. Und es trainiert das Wechseln von Perspektiven ungemein, wenn man es mit anderen Perspektiven auf solch existenzielle Fragen zu tun bekommt.

Quellen:

Text: Liber L vel Legis, Kapitel Nuit, Vers 39 / Markus Gabriel / Gelassenheit, Mut und Weisheit / Relativitätstheorie / Komplexitätsforschung / Multiversumstheorie /

Bilder: © Foto von Deposito / Foto von Deposito

von Angela

Die Autorin ist Doktor der Philosophie, Mutter von zwei erwachsenen Kindern und lernt gerade griechisch, versteht sich aber nicht als Philosophin, sondern als Thelemit. Und das seit 30 Jahren. (Stand 2023)

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